Streit um eine Spange gegen das Schnarchen

In der jüngsten Lungenliga-Kampagne zum Thema Schlafapnoe wird eine mögliche Behandlungsart nicht erwähnt: eine einfache Anti-Schnarch-Spange. Mit dem Velumount, wie der speziell geformte Draht zur Stabilisierung des Gaumensegels (Velum) heisst, werden seit drei Jahren auch Schnarcher behandelt, die unter nächtlichen Atemaussetzern leiden.

Drucken
Anti-Schnarch-Spange gegen Schlafapnoe. (Bild: Paul Seewer / RDB)

Anti-Schnarch-Spange gegen Schlafapnoe. (Bild: Paul Seewer / RDB)

ni. Wenn es nur um das Schnarchen ginge, hätte die Anti-Schnarch-Spange von Arthur Wyss aus Bern wohl nie für so viel Aufregung gesorgt. Doch mit dem Velumount, wie der speziell geformte Draht zur Stabilisierung des Gaumensegels (Velum) heisst, werden seit drei Jahren auch Schnarcher behandelt, die unter nächtlichen Atemaussetzern leiden. In diesem Fall liegt ein Schlafapnoe-Syndrom vor, eine ernsthafte Erkrankung, an der in der Schweiz schätzungsweise 150 000 Personen leiden. Weil die teilweise minutenlangen Atempausen den Schlaf stören, klagen viele Betroffene über ausgeprägte Müdigkeit am Tag. Dies beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit und kann im Strassenverkehr fatale Folgen haben. Zudem weiss man, dass der nächtliche Stress, dem Personen mit Schlafapnoe ausgesetzt sind, das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Hirnschlag erhöht.

Im Zentrum steht ein Dilemma

Eine wirksame Therapie ist deshalb von grosser Bedeutung. Was darunter zu verstehen ist, hat die Lungenliga Schweiz in ihrer kürzlich lancierten Kampagne gegen das Schlafapnoe-Syndrom klargemacht. Die Anti-Schnarch-Spange von Arthur Wyss gehört nicht dazu. Dies hat den 53-jährigen gelernten Elektroniker dazu veranlasst, eine eigene Medienmitteilung zu verfassen. «Warum schweigt die Lungenliga-Kampagne eine neue Schlafapnoe-Therapie tot?», fragt Wyss darin.

Wer diese Frage zu beantworten versucht, merkt bald einmal, dass sich dahinter ein vielschichtiger Konflikt verbirgt, der keinem einfachen Gut-Böse-Schema folgt. Im Kern geht es um folgendes Dilemma: Lungenliga und Ärzteschaft sagen, sie könnten die Velumount-Spange nicht empfehlen, weil noch nicht wissenschaftlich bewiesen sei, ob und bei wem sie wirke. Wyss dagegen erklärt, er habe seine Spange von Anfang an evaluieren wollen. Doch die Lungenliga und die meisten Lungenfachärzte (sie sind die Spezialisten für Schlafmedizin) hätten eine solche Überprüfung torpediert, was diese zurückweisen.

Als Hauptgrund für die angebliche Verhinderungspolitik sieht Wyss finanzielle Gründe. Denn die als Therapie der Wahl empfohlene CPAP-Methode ist nicht ganz billig. In den meisten Fällen wird das dafür benötigte Gerät von der Lungenliga an den Patienten vermietet, es kann aber auch von niedergelassenen Ärzten verkauft werden. Bei dieser Behandlung (CPAP steht für «continuous positive airway pressure») muss der Patient nachts eine Maske anziehen. Über einen Generator wird ein Überdruck in den Luftwegen erzeugt. Dadurch wird verhindert, dass die Zungen- und Rachenmuskeln einfallen und die Atmung blockieren. Die Miete für ein CPAP-Gerät beträgt inklusive Abklärung jährlich rund 1500 Franken. Die Wysssche Behandlung kostet hingegen samt individueller Anpassung der Spange in einem Workshop nur einmalig 460 Franken.

Mit der Spange liesse sich viel Geld sparen, sagen die Befürworter der Methode; Geld, das im Fall der CPAP-Therapie von der Krankenkasse bezahlt wird. Die patentierte Anti-Schnarch-Spange hingegen muss von den Krankenkassen nicht übernommen werden, da der Draht zwar ordnungsgemäss als Medizinalgerät beim Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) angemeldet ist, aber nicht auf der für diese Frage entscheidenden Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL) der Krankenpflege-Leistungsverordnung steht. Laut Wyss bezahlen aber bereits heute mehrere Krankenkassen die Kosten zur Anpassung von Velumount-Spangen, teilweise sogar aus der Grundversicherung.

Wirkung in Einzelfällen unbestritten

Das ist in den Augen vieler Fachärzte problematisch. Denn um auf die MiGeL zu kommen, braucht es anerkannte wissenschaftliche Studien, mit denen der Nutzen einer Therapie und allfällige Probleme evaluiert werden. Dies diene dem Wohl der Patienten, wird argumentiert. Denn nur so wisse man, bei wem eine Therapie nütze – und wer von einer anderen Behandlung mehr profitiere. Eine solche anerkannte Evaluation liegt für die Anti-Schnarch-Spange nicht vor, was auch Wyss einräumt.

In diesem Zusammenhang irritiert es einige Ärzte, dass Wyss trotzdem zu Werbezwecken schreiben darf, die Spange wirke gegen Schlafapnoe. Weder die nationalen noch die kantonalen Gesundheitsbehörden sind deswegen bisher eingeschritten. Wie Isabel Scuntaro von Swissmedic sagt, sind den Behörden bis anhin keine wesentlichen Probleme mit der Spange gemeldet worden. Swissmedic habe zudem geprüft, ob das Gerät das halte, was es verspreche. Dabei habe man festgestellt, dass die Spange bei einem Teil der Betroffenen hilfreich sei; eine Wirksamkeit gegen alle Formen von Schlafapnoe könne damit jedoch nicht erwartet werden, insbesondere nicht bei schweren Formen. Nur, so fragen sich viele Fachärzte: Wie kann Swissmedic eine solche Beurteilung abgeben, wenn es keine wissenschaftlichen Studien gibt? Offenbar hat ihnen Wyss' eigene Evaluation genügt, die er in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachärzten gemacht hat.

Nach dieser Evaluation ist laut Wyss belegt, dass die Spange, die bereits bei 4700 Personen angepasst worden sei, beim ungefährlichen Schnarchen in 98 Prozent der Fälle den gewünschten Erfolg bringt. Bei Patienten mit Schlafapnoe sei in 65 Prozent mit deutlicher Besserung zu rechnen; jeder zweite von ihnen könne auf eine CPAP-Therapie verzichten, wobei dies bei vielen Patienten ärztlich überprüft worden sei, betont Wyss.

Heikle Heilsversprechen

Auch Fachärzte sagen gegenüber der NZZ, dass sie Patienten kennen, bei denen die Velumount-Spange nütze. Es gebe aber auch Personen, denen damit nicht geholfen werden könne und denen man schade, wenn man sie keiner wirksamen Therapie zuführe. Solange keine gültigen Studiendaten vorlägen, könne deshalb nicht beurteilt werden, welchen Stellenwert die Spange – etwa im Vergleich zur bestens evaluierten CPAP-Therapie – bei der Behandlung von Patienten mit Schlafapnoe habe. Die Lungenliga könne aus wissenschaftlich-ethischen Gründen den Velumount nicht empfehlen, wird betont. Das habe nichts mit Totschweigen zu tun.

Dass Wyss seine Belege nicht längst in einer wissenschaftlichen Publikation zusammengefasst hat, erstaunt Robert Thurnheer, den Präsidenten der Arbeitsgruppe Schlafapnoe der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP), welche die Lungenliga in fachlichen Fragen berät. Eine solche Analyse würde von jeder Pneumologengesellschaften akzeptiert werden, betont er. Man sei nicht gegen die Erfindung von Wyss, aber es gebe gewisse Regeln, wie ein solches Gerät in die medizinische Praxis eingeführt werden müsse, sagt Thurnheer. Dazu gehöre, dass man eine saubere wissenschaftliche Untersuchung und Dokumentation vorlege, bevor man im Fernsehen Heilsversprechen mache, wie dies Wyss wiederholt getan habe.

Dass ein solcher «vorzeitiger» Gang in die Medien als unseriös und stossend empfunden wird, bestätigen auch andere Pneumologen. Einige sind der Ansicht, dass dies die wissenschaftliche Evaluation der Anti-Schnarch-Spange verzögert hat. Denn es sei nicht reizvoll, etwas zu evaluieren, das bereits als wirksam angepriesen werde, sagt Thurnheer. In diesem Zusammenhang wird auch der Fall eines renommierten Zürcher Pneumologen genannt. Dieser habe nach einer Untersuchung eines Patienten mit und ohne Velumount keine ausreichende Wirkung der Spange feststellen können, worauf er diskreditiert worden sei. Dass bei den vielen Unstimmigkeiten um die Berner Anti-Schnarch-Spange auch Persönlichkeitsfaktoren eine Rolle spielen dürften – und zwar auf allen Seiten –, liegt auf der Hand. Ein Facharzt meint dazu: «Wie in der Ehe harmonieren auch in der Forschung nicht alle gleich gut.»

Man hätte dem charismatischen Nichtmediziner Wyss, der durch eigene Betroffenheit vor sieben Jahren zum Erfinder geworden ist, einen Berater gewünscht, der ihm den Weg durch die wissenschaftliche Medizin gezeigt hätte. Dann wären schon die ersten Versuche mit dem Velumount als wissenschaftliche Studie geführt worden, und die geforderten Resultate und Beurteilungen längen heute vor. Dies wäre für alle von Vorteil, nicht zuletzt für die Patienten.

Aber auch die Schweizerische Gesellschaft für Pneumonie und ihre Arbeitsgruppe für Schlafapnoe müssen sich die Frage gefallen lassen, weshalb sie sich nicht – zum Wohl der Patienten – aktiver um die Evaluation der Anti-Schnarch-Spange bemüht haben, spätestens als absehbar wurde, dass sich die Patienten in grosser Zahl damit behandeln lassen. Das eigene Desinteresse mit fehlender Zeit und anderen Forschungsprioritäten zu rechtfertigen, dürfte in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stossen.

Ergebnisse im Sommer erwartet

In die Bresche gesprungen sind inzwischen andere. Eine erste Evaluation der umstrittenen Spange findet am Kantonsspital Liestal statt. Wie der Studienleiter und Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Kurt Tschopp, erklärt, will er bis zum Sommer Resultate liefern. Bis dann sollen 25 bis 30 Personen mit und ohne die Spange untersucht sein. An anderen Spitälern laufen ähnliche Evaluationen an. Wenn die Ergebnisse überzeugen, sagt Thurnheer, werde man die Therapieempfehlungen anpassen. Und er betont: «Ist die Spange wirklich gut, dann wird sie sich durchsetzen.» Das könne man gar nicht verhindern.

Zusätzlich zur Anti-Schnarch-Spange evaluiert Tschopp auch gleich eine neue chirurgische Behandlungstechnik, bei der die Patienten mit Schlafapnoe auf verschiedenen Etagen des Nasen-Rachen-Raums operiert werden. Denn für ihn ist klar, dass die Velumount-Spange – wie auch die CPAP-Therapie, die von einigen nicht toleriert wird – nicht bei allen die Lösung sein kann. Es gelte deshalb, bei jedem Patienten nach der für ihn besten Behandlung zu suchen, betont Tschopp. Neben den erwähnten Ansätzen könne dies auch eine spezielle Zahnspange sein. Sogar das Didgeridoo-Spielen soll bei einigen helfen.